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Bilka - Texte - Miesmuschel

 

____Shadow Feminine
Die Filme von Nina Menkes
02-19.10.2008 Kino Arsenal Berlin

"Die mit unzähligen Preisen gefeierten Filme der Regisseurin und Kamerafrau Nina Menkes sind jeder für sich ein Eklat: Sie springen dich an, überfallen dich wie böse und doch zutiefst realistische Träume. Die Kompositionen aus fast schon schmerzhaft schönen Bildern und Klängen - gesprochene Worte, Geräusche, verdichtete oder zart angedeutete Melodien - sprechen eine Sprache, die das Unbewusste versteht. Zugleich ist sie, die "unsichtbare" Bildermacherin hinter der Kamera, in jeder Einstellung präsent, ja greifbar - doch nicht, indem sie, wie der Auteur im narrativen Kino, ihre Figuren dirigiert. Vielmehr begleitet sie sie mit der Kamera, blickt sie an, blickt ihnen nach, passt auf sie auf, beobachtet sie, zeigt sie mit Hochachtung in ihrer Einsamkeit." (Viennale-Retrospektive 2007)

Die in Los Angeles lebende Regisseurin Nina Menkes (geb. 1963 USA) arbeitet in ihren bisherigen sechs Filmen über (weibliche) Zwischenzustände. Ihre filmische Arbeit ist eine Reise zum - wie sie es nennt - "Shadow Feminine". Nina Menkes macht Spielfilme, doch sie dreht sie wie Dokumentarfilme. Die Figuren - oft sind es Schwestern oder Freundinnen - bewegen sich durch normative Räume, das narrative Kontinuum von Ursache und Wirkung in Raum und Zeit zerspringt, unabänderliche Ereignisse sind in einer neuen und durchaus nachvollziehbaren Ordnung miteinander verwoben. Ihre "Inner Space Fictions" drehen sich um Gewalt - die seelische Seite der Gewalt, um entfremdete Sexualität, um entfremdete Arbeit. Und um Exil und Zugehörigkeit.

"Menkes' Filme haben die Topografie eines alternativen Ortes umrissen, an dem eine andere Logik herrscht, als das, was wir brav ‚Realität' nennen. Es ist allerdings kein symbolischer Raum - da Menkes' Oeuvre großartig illustriert, wie die Frau eben nicht ganz innerhalb der symbolischen Ordnung steht. Es ist ein Raum, der von den metaphorischen oder physischen Wanderungen der Protagonistin entworfen wird - der die Umrisse ihres Körpers und ihres Geistes umschreibt; ein Raum, der von den Wünschen, den Träumen, den Ängsten, den Fantasien, den Unzulänglichkeiten, der Gewalt und dem Herzeleid von Frauen definiert wird; ein Raum, in dem der Platz des Vaters leer ist, in dem Männer ‚floaters' sind: Sie kommen und gehen, als Besucher, flüchtige Objekte der Begierde und manchmal Peiniger - meist unerreichbar, wie die Schatten, die auf die Wand von Platons Höhle geworfen wurden." (Bérénice Reynaud)

Nina Menkes war zur Retrospektive all Ihrer Filme im Oktober im Kino Arsenal anwesend.

____Nina Menkes
Als Amerikanerin erster Generation wurde Nina Menkes 1963 geboren und wuchs im kalifornischen Berkeley auf. Eine Ausbildung zur professionellen Tänzerin musste sie aufgrund einer Knieverletzung beenden und einen anderen Weg einschlagen. Sie studierte Film an der UCLA Film School in Los Angeles. Ihr erster Spielfilm MAGDALENA VIRAGA (1986) - gleichzeitig ihre Abschlussarbeit - gewann den Los Angeles Critics Award. Nina Menkes hat an der University of Southern California School of Cinematic Arts (USC), am California Institute of the Arts (Cal Arts) und am Film and Television Institute of India (FTII) in Poona Regie unterrichtet und lehrt jetzt am Filmdepartment der Tel Aviv University. Menkes zeichnet bei all ihren Filmen sowohl für Drehbuch, Regie und Schnitt als auch für die Kamera verantwortlich: Angefangen hat sie mit Super8, heute dreht sie auf 35mm. Wiederkehrende Themen ihrer Filme wie Entwurzelung und Exil beziehen sich auch auf ihren eigenen familiären Hintergrund: Mitte der 1930er Jahre flohen ihre Eltern aus Deutschland und Österreich nach Jerusalem, wo sie aufwuchsen. Nach ihrer Heirat gingen sie zum Studium an die NYU in New York.

Madeleine Bernstorff

 

____Die Filme

Phantom Love
2007 35mm 85'
Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt: Nina Menkes, Licht: Chris Soos, Produktion: Kevin Ragsdale, D: Marina Shoif, Juliette Marquis
Gedreht in: Los Angeles und Rishikesh, Indien

Die Retrospektive wird eröffnet mit PHANTOM LOVE (2007) "Die junge Lulu verbringt den Großteil ihres Lebens damit, in einem Casino in Los Angeles zu arbeiten. Ihr viel jüngerer Liebhaber, zu dem sie keine emotionale Verbindung spürt, und ihre Schwester Nitzan, die fortwährend Pillen schluckt und nahe eines Zusammenbruchs ist, nehmen den Rest ihrer Zeit ein. Lulus Mutter, die auf Besuch kommt, versucht immer wieder zu helfen, macht die Dinge jedoch nur komplizierter. PHANTOM LOVE ist getragen von einer surrealen Atmosphäre, die, wie man sagen könnte, zu Nina Menkes' Markenzeichen geworden ist: Verschlungene Gesichter, Schatten und exotische Tiere vereinen sich hier in Begleitung eines sorgfältig konstruierten, subtilen Soundtracks. Menkes ergründet Lulus Reise von innen heraus, über Gewalt und Beziehungen hinweg, und das Resultat ist eine mysteriöse Familienchronik. Ein surreales Drama über eine in familiären Verstrickungen gefangene Frau und über ihren langsamen Prozess einer persönlichen Befreiung. (Robert Koehler)

The Bloody Child
1996 35mm 86'
Regie, Produktion, Kamera: Nina Menkes, Konzept und Schnitt: Nina Menkes & Tinka Menkes D: Tinka Menkes, Robert Mueller, Sherry Sibley, Russ Little
Gedreht in: Twenty-Nine Palms, Kalifornien; Ägypten und Sudan

THE BLOODY CHILD (1996) "erzählt in langen, meditativen Sequenzen, wie ein Angehöriger der US-Marines seine Frau tötet, sie auf dem Rücksitz seines Autos verstaut, mit der Leiche in die Mojave-Wüste fährt, sie dort vergräbt und dabei von einer Militärstreife gestellt wird. Nina Menkes hat die Geschichte einer Zeitungsmeldung entnommen. Sie dient ihr als Rahmenhandlung, die aber die konkreten Geschehnisse nicht verstehbar macht, sondern in einem viel fundamentaleren als bloß psychologischen Sinn "unverständlich" werden lässt: Menkes schneidet den Film gegen die Leserichtung, sodaß man erst in der Mitte des Filmes realisiert, was eigentlich passiert sein könnte. Die Schnitte erzeugen einen bestimmten Rhythmus, der die Szenerie in abstrakten Tableaus auf unterschiedliche Weise zusammensetzt. Dadurch erscheinen die Charaktere der Handlung oder die Indizien nicht länger als Knotenpunkte der Bedeutung, sondern als Fragmente in einem viel umfassenderen Tableau, einer Welt, in der Bedeutung potenziell gleich verteilt ist - überall und nirgends." (Roger M. Buergel, Ruth Noack)

Queen of Diamonds
1991 35mm 77'
Regie, Drehbuch, Kamera, Produktion: Nina Menkes, Schnitt: Tinka Menkes & Nina Menkes
Gedreht in: Las Vegas

QUEEN OF DIAMONDS spielt in Las Vegas, mit einer Art "psychopathischem Verité-Blick" wie die Filmwissenschaftlerin Bérénice Reynaud den Film sehr treffend beschreibt.
Die Protagonistin Firdaus (das arabische Wort für Paradies) arbeitet als Croupière am Spieltisch in Las Vegas, und pflegt außerdem einen alten Mann. Sie ist eine einsame Figur, um die herum sich das Leben langsam auflöst. Eine zentrale 12 Minuten lange Sequenz zeigt sie als Kartengeberin am Black-Jack-Tisch: Alle Geräusche aus der Spielhalle sind zu hören - eine monumentale Raum-Atmo. Kein Schweiß, nur Bimmeln und Befehle, das Rollen einer Kugel, die elegante Routine, mit der die Karten gemischt und ausgelegt werden, der Schlund der Bank im Tisch, in den das Geld gestopft wird: Geld wird zur abstrakten Spannung. Eine virtuelle Himmelswelle aus Leuchtkörpern über ihr, um sie herum von sich selbst abwesende Menschen.
Eine brennende Palme, die Protagonistin Firdaus mit dem Rücken zur Kamera: mehr zeigt die acht Minuten lange Einstellung nicht. Die Palme brennt rauchend und funkenstiebend ab. Die Dauer dieses Bildes ist ebenso erstaunlich wie der Aufbau und seine Wirkung: Die Konzentration auf die Palme am linken Bildrand, die Aufmerksamkeit auf die Figur rechts, und der schweifende Blick über die leere Bildmitte erzeugt eine kontemplative Wucht. (Madeleine Bernstorff)

Magdalena Viraga - The Story of a Red Sea Crossing
1986 16mm 90'
Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt: Nina Menkes D: Tinka Menkes, Claire Aguilar
Gedreht in: East Los Angeles

Tinka Menkes spielt eine Sexarbeiterin im Barrio von East Los Angeles. Plüschige Möbel, Louis-toujours-Sessel, viel katholischer Barock und glitzernde Tanzsäle. Sie arbeitet, auch wenn sie es haßt, zu arbeiten. Sie ist da und sie ist nicht da. Ein Mord an einem Freier geschieht und Magdalena Viraga wird - wahrscheinlich unschuldig - verhaftet. Die Erzählung springt fragmentarisch in Zeit und Raum.

Basierend auf Texten von Gertrude Stein, Anne Sexton, Mary Daly und William Blake entstand MAGDALENA VIRAGA - THE STORY OF A RED SEA CROSSING (1986).
Der Film spielt an "lebhaften, schäbigen Schauplätzen in Los Angeles, um den Eindruck eines anonymen lateinamerikanischen Polizeistaats zu erzeugen. Die Prostituierte Ida/Magdalena Viraga bewegt sich weitgehend zwischen den ausstaffierten Schlafzimmern der Absteige (wo Tinka Menkes als Ida ihr Klientel mit kalter Passivität befriedigt) und der Gefängniszelle, in die sie ebenso häufig von der Polizei aus eher politischen als moralischen Gründen gesteckt wird." (Kevin Thomas, "Los Angeles Times", 1991)

The Great Sadness of Zohara
1984 16mm 40'
Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt: Nina Menkes D: Tinka Menkes
Gedreht in: Israel, Marokko


In THE GREAT SADNESS OF ZOHARA reist die von Tinka Menkes gespielte Figur, ein jüdisches Mädchen, von der Klagemauer in Jerusalem, wo sie Apfel essend und mit Kopftuch zwischen den betenden Männern sitzt, in die nordafrikanische Wüste und ändert dauernd ihre Kostüme und den Haarschnitt - wie, als wenn sie versucht in die jeweilige Umgebung zu passen und dabei immer androgyner wird. Stimmen aus dem Off - Texte aus dem Buch Hiob - begleiten diese Seelenreise. Die Kamera der Regisseurin bleibt sichtbar, Menschen weichen ihr aus oder nehmen Kontakt auf, die Kadragen sind streng komponiert. "Die Kamera bleibt dabei meist starr auf jenen Auschnitt gerichtet, den die junge Frau auf ihrer Reise durchschreitet. Und wenn die Kamera dann doch beweglich wird, ist das Ergebnis ein schreckliches Unbehagen, gerade so, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen werden."(Holly Willis) An einem Flusslauf stehend mit nacktem Oberkörper scheint Zohara einen Moment der Ruhe gefunden zu haben, unser Blick entfernt sich mit harten Schnitten. Und am Schluß ist sie wieder zurück in Jerusalem.

A Soft Warrior
1981 Super 8/Beta 11'Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt: Nina Menkes D: Tinka Menkes, Irene Bowers
Gedreht in: Berkeley, Kalifornien

Menkes' erster Super8-Film A SOFT WARRIOR (1981) "handelt von der Grauzone zwischen Krankheit und Gesundheit - eine Zone, die von Tinka Menkes durchquert wird. Sie spielt die Kriegerin, die eine auf einem Bett liegende Frau umsorgt und umarmt. An einer Stelle bedeckt sie ihr Gesicht mit einer Art Kriegsbemalung (oder einer Maske aus der Peking Oper); dann ist ihr ganzer Körper von einer schwarzen Substanz umhüllt, die an den uniformen Bodysuit erinnert, der von Irma Vep in Louis Feuillades LES VAMPIRES getragen wird. (Bérénice Reynaud)"

Entstanden während der Studienzeit an der UCLA Film School, ist A SOFT WARRIOR die erste Zusammenarbeit von Nina und Tinka Menkes und dokumentiert auf eine seltsame und zugleich schöne Art, wie Tinka anstelle ihrer Schwester in einem Krankenzimmer voller seltsamen Figuren - einer Installation von Schattenexistenzen - eine schwere Krankheit durchleidet. A SOFT WARRIOR war eine der erfolgreichsten Arbeiten der Filmhochschule im Jahr 1981 und wurde bei zahlreichen Super-8-Festivals präsentiert.

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