____Oh, those eyes!
Mabel Normand
Von den frühen Slapstickzeiten,
in denen Mabel Normand ihren purzelnden Körper in Windeseile
wieder zusammensammelt bis zu ihrem verhalteneren, stilleren
Spiel in den späten Filmen überlebt ihre zarte Pausbäckigkeit.
Auf einigen Porträts verschwimmen Mabel's Augen in ein
leichtes Schielen, ihre Augenbrauen sind je nach Mode dünn
gebogen oder grade, oft mit einer Bewegung zur Stirnmitte
hin, ihre dunklen Korkenzieherlocken manchmal hochgesteckt,
oft verstrubbelt, manchmal asymmetrisch frisiert. Und immer
sind es ihre Augen, die sich zum Himmel drehen, rollen, aufklappen
und zuklappen, von Großaufnahmen betont, die sie in
die Mitte der Aufmerksamkeit holen.
Als Ute Aurand mich einlud,
in ihrer Filmreihe "Sie zum Beispiel", in der Filmliebhaberinnen
Filme von Regisseurinnen vorstellten, ein Programm zu gestalten
und zu begleiten, wünschte ich mir Mabel Normand.
Ich kannte sie als wilde Squaw in Griffiths Biograph- Einakter
A SQUAW'S LOVE (1911), ihren nicht-gedoubelten, eindrucksvollen
Sturz ins Wasser, ihre tauchende Rettungsaktion mit dem Messer
zwischen den Zähnen. Ich erhoffte mir von Mabel Normand
weitere serial-queen-Qualitäten. Als low-brow-Unterhaltung,
die den Markt der weiblichen Zuschauerin miteinbezog, holten
die serial-queen- Melodramen die populäre Mythologie
der Neuen Frau fürs Kino ab. Die Geschlechtertrennung
zwischen öffentlicher und häuslicher Sphäre
hatte sich verringert, die Werte von Mütterlichkeit und
Häuslichkeit, wurden überlagert von neuen Werten.
Die Konsumkultur hofierte die Frauen mit einem modernisierten
Frauenbild.
Der realpolitische Hintergrund, die Kämpfe um das Frauenwahlrecht,
wurden in Fragen des Looks, der Mobilität und des Warentauschs
aufgehoben. Kleider und Haare wurden kürzer, die Frauen
der Mittelschicht und Arbeiterklasse, Immigrantinnen und Töchter
der ImmigrantInnen tummelten sich auf Straßen und schlecht
bezahlten Arbeitsplätzen.
"Jubelnd nennt sie sich den beinahe-Bruder des Mannes
... Sie liebt es zu gehen, zu rudern, zu reiten, zu fahren,
zu springen und zu rennen, nicht zierlich auf hohen Absätzen,
mit in Seide gekleideter Eleganz, sondern so wie der Mann
geht, springt, rudert, reitet, fährt und rennt."
Mabel Normands Locken und Röcke blieben lang, ab und
an spielte sie tomboy - und Hosenrollen. Ihre Beliebtheit
beim Publikum, eröffnete ihr eine Serie von Mabel-Filmtiteln;
mit Roscoe Arbuckle, dessen geliebte Gestalt sie in den Filmen
mit großen ausholenden Armbewegungen umschrieb, bildete
sie das populärste boy-and-girl-Team der Stummfilmzeit.
In ihrer körperlichen, mimischen Präsenz, ihrem
expressiven Stil fand sie zu einer Mobilität, die sich
auch im Verschieben und Parodieren der Genres zeigt.
Aber nicht nur die Genreparodie
auch das physische Anderswo-Sein findet sich in einigen Filmen:
Als nächstes sah ich Mabel Normand in dem Griffith-Melodram
SAVED FROM HIMSELF (1911). Hier bewahrt sie ihren Verlobten,
spirituell unterstützt von dessen betender Mutter, vor
dem üblen Verbrechen eines Diebstahls. In Anbetracht
seiner drohenden Missetat blickt sie augenrollend in die Kamera
- eine kurze Einstellung, in der Mabels komische Präsenz
aus dem moralischen Besserungsmelodram herauskippt und ihre
spätere Komödienpersona aufblitzt.
In JOAN OF PLATTSBURG,
einem Durchhalte-film von 1918 imaginiert sich Mabel Normand
als reinkarnierte Jeanne D'Arc. Sie hört Stimmen, die
sich gegen die Regierung verschwören, und vereitelt den
Verkauf von Regierungsgeheimnissen: "Eine sehr hübsche
Idee, kunstvoll ausgearbeitet vom Produzenten, aber es fehlt
ihr am wichtigsten, an der Spiritualität des Stars ...
Miss Normand erweist sich sehr fähig in allen Komödiendarstellungen,
aber wenn es darum geht, den Materialismus in Spiritualität
zu verwandeln, ist sie nicht da. Mit anderen Worten, Miss
Normand ist immer ein physisches Wesen und das läßt
sie uns nicht vergessen."
Mabel Normands Arbeit als Fotomodell, später als bathing-beauty
im enganliegenden, enthüllenden Badeanzug in der Anfangszeit
von Mack Sennetts Keystone Produktion, ihre überdrehten,
clownesken Farcen wurden abgelöst von Adoleszenz- und
Ehekriegen, in denen sie mit Roscoe Arbuckle idyllisch-infantile
Momente eines komischen Duos anspielt. In FATTY AND MABEL
ADRIFT (1916) leben die beiden nach geglückter Heirat
in einem Strandhäuschen zusammen und schlafen in getrennten
Betten und Räumen. Nur Fatty's Schatten küßt
Mabel im Schlaf und sie lächelt zart. Erst der Angriff
von außen und das langsame Versinken des Häuschens
im Ozean treibt die beiden Betten aufeinander zu. In FATTYS
AND MABELS SIMPLE LIFE (1915) antwortet Mabel auf Fatty's
phallisch-voyeuristische Aggression, sein attraktionssüchtiges
Lugen mit einem gezielten Zitzenspritzer aus dem Euter der
Kuh, die sie gerade melkt. Der weiße Strahl trifft durch
das Astloch direkt in Fatty's Auge, er öffnet seinen
Mund und trinkt, die Flüßigkeit rinnt ihm übers
Kinn. Trotz ihres Spaßes an der gelungenen Gegenwehr
verschwindet Mabel fast hinter der ejakulativen Metapher.
Die Szene bringt die "Unterleibsvulgarität"
der Slapstickkomödien mit den unzähligen Schlauchspritzereien
in einen ländlich-bukolischen Zusammenhang.
Die späten, langen
Filme verlagern ihre Adoleszenzkrisen in die Stadt, Mabel
Normand spielt die Lumpensammlerin (RAGGEDY ROSE, 1926), die
Film-Statistin (EXTRA GIRL, 1923), die an ihrem Look scheitert
und im Kostüm-Fundus die Staffagen der Filmindustrie
bedient, und in THE NICKEL HOPPER (1926), einem der wenigen
Filme, der einen expliziten Bezug auf Berufstätigkeit
und Hausarbeit liefert, ist sie die disfunktionale Tanzlehrerin,
die nachts und tags arbeitet.
Mabel Normand erzeugt
durch ihr Spiel zum Publikum mit dem begrenzten Repertoire
von rollenden Augen und weiteren histrionischen Gesten einen
Raum, der jenseits der dominanten Diskurse verortet ist. Sie
spielt einen exzessiven Dialog zwischen dem restriktiven Potential
viktorianischer Weiblichkeit und einem wilderen Wesen, das
oft jedoch in Infantil-plots zurückgenommen wird. Momente
dieser Zähmungsbewegung finden sich immer wieder.
Als Kind eines mehr oder weniger ernstgenommenen Vaters, gerät
sie in Konflikt mit dessen Verheiratungswünschen, ihr
wird der Hintern versohlt wie in FATTY AND MABELS SIMPLE LIFE
und sie zieht sich in verzweifelter Regression ins Bett zurück.
Bettszenen, Pyjamaszenen und ganz selten auch Nachthemdauftritte
vermitteln 'unschuldige' Anspielungen auf eine adoleszente
Sexualität. Die Betten und Bettkleidungen erlauben vorsichtige
Hinweise auf Orte und Enthüllungen sexueller Phantasien.
In MABELS MARRIED LIFE kommentieren die Männer ihre weiblichen
Formen im Pyjama, und Mabel wickelt sich zum Schutz vor den
Blicken ein Leopardenfell um die Hüften. In EXTRAGIRL
sehen wir ihre entblößten Schultern, und sie baut
sich aus der Bettdecke ein Sackkleid, statt in ihr Brautkleid
zu schlüpfen. In NICKELHOPPER führt sie allein im
Raum einen breitbeinigen Nachthemdtanz mit Schleppenspiel
auf.
Ihre direkte Ansprache des Publikums als Blick in die Kamera,
als histrionische Gestik und Mimik hält sich bis in die
späten Hal Roach-Filme, Relikt des cinema of attractions,
das den Frauen auf der Leinwand und im Publikum einen komplizinnenhaften
Raum gewährte. Genau hier bleibt Mabel Normands Humor
subversiv im Sinne einer Öffnung der Erzählstruktur
zum Publikum hin.
Komödiantinnen aber
sind seltsam verschluckt von der Filmgeschichte. Wenige von
ihnen entwickeln durchgängige Profile oder erhaschen
die Möglichkeit, ihre Leinwandpersona zu entwickeln.
Vielfach arbeiten die Komödien mit weiblichen Clowns
daran, die traditionelle Witz- und Zotenstruktur wiederherzustellen,
die Subjektposition der Clownin zurückzuverwandeln zum
Objekt des komischen Diskurses. Parallel zum Reifungsprozeß
des Kinos gibt es jedoch abgesehen von dem Stereotyp der sexualitätsdisziplinierenden
schrulligen Alten einige Backfische, Teenager und Töchter,
die mit lauten Bewegungen gegen patriarchale Gesetze revoltieren.
Mabel Normand spielt
in ihren frühen Rollen und auch in den Filmen, in denen
sie Regie geführt hat, weniger eine Kolombine, als die
sie George Sadoul beschreibt, sondern eher den in Karos gekleideten
weiblichen Clown mit den überlangen Schuhen. In MABELS
BUSY DAY (1914) ist sie die proletarische Würstchenverkäuferin,
der ein Polizist zu einem hinter einem riesigen Bretterzaun
stattfindenden Autorennen Zutritt verschafft. Bald schon gerät
sie in Konflikt mit der anwesenden Gesellschaft: die Damen
behandeln sie herablassend, die Herren ausbeuterisch. Als
Charlie Chaplin ihr schließlich scheinbar hilft, dann
aber doch nur die Würstchen klaut, gerät die ganze
Szenerie in einen Wirbel von Arschtritten und Herumjagereien.
Mabel verteilt dabei kräftige Fußtritte mit weit
ausholendem Beinschwung. Ein unwillkürliches Zucken des
Armes wird zu einer Ohrfeige, ein Schleudern des Beines zu
einem Tritt in den Hintern der Gegner. Deutlicher als die
anderen Protagonisten wippt sie jedoch immer wieder zurück
in ostentatives Greinen und Weinen, spielt die Gesten einer
schutzsuchenden viktorianischen Weiblichkeit parodistisch
aus, um dann gleich wieder trippelnd sich in Fahrt zu bringen
für die nächsten Fußtritte. Diese Bewegung
zwischen arschzielenden Slapstickgewalttätigkeiten und
dem übersteigerten Jammern scheint unmittelbar zusammenzugehören,
die offensive Subjektposition ist nicht möglich ohne
reaktive Objektposition.
In einem weiteren Biograph-film
unter der Regie von Mack Sennett A DASH THROUGH THE CLOUDS
(1912) ist der Ausgangspunkt von Mabels Ausflügen in
die Welt der Mobilität ein mit wilden Rosen überwucherter
Hauseingang, aus dessen Idylle sie hervortritt. Sie findet
viel größeren Gefallen an einem schicken Flieger
als an ihrem rundlichen Verlobten Fred Mace. Sie tanzt vor
Begeisterung angesichts der zweisitzigen Propellermaschine.
Sie möchte hinauf. Sie steigt auf den Sitz, schnallt
sich an und schaukelt vor Vergnügen hin und her, das
Flugzeug wird zur Lustmaschine, sehr zum Mißfallen ihres
Verlobten. Später wird dieser jedoch von der mit dem
Piloten und zwei Pistolen heranfliegenden Mabel vor der Bedrängnis
durch eine mexikanische Großfamilie gerettet. Mabel
führt die zwei Männer dann auch noch zur Versöhnung
zusammen- und entzieht sich mit Nonchalance der Besitzselbstverständlichkeit
ihres Verlobten. Im Schlußbild muß der Mann wieder
davonrennen. Und Mabel lacht von oben.
Der Film bezieht seinen Witz aus dem Ernstnehmen von Mabels
Wünschen und Begierden nach einer aufregenden und erhebenden
Liebesgeschichte, aus der Darstellung ihrer libidinösen
Durchsetzungskraft und souveränen Überheblichkeit
gegen ihren drögen Verlobten, der sie als sein Eigentum
behandelt. Gleichzeitig gelingt es dem Film Mabels Begehren
an ein Mobilität versprechendes technisches Medium zu
binden. In ihrer aktiven Position im Verhältnis zu den
zwei Männern bevorzugt sie das Flugzeug mit Mann und
koppelt die Lust an Technisierung. Daß diese Lust hierdurch
zur Warenlust wird, entschärft und desexualisiert wird,
gehört zu den Ambivalenzen dieser Darstellung.
Noch deutlicher ist die
in A DASH THROUGH THE CLOUDS angedeutete Parodie auf die unzähligen
last-minute-rescue- Filme , die meist den Angriff auf die
viktorianische Häuslichkeit beinhalten, verbunden mit
einer übers Telephon vermittelten Spannungsmontage, in
der Keystone-Produktion THE BANGVILLE POLICE (1913). Mabel
Normand spielt wie in den Roscoe-Arbuckle-Filmen FATTY AND
MABELS SIMPLE LIFE (1915) und FATTY AND MABEL ADRIFT (1916)
die ländliche, naive Tochter. Der Film beginnt damit,
wie sie auf die Kamera zurennt, in der Hand ein Büschel
Stroh, die Locken verstrubbelt und die Kuh im Stall füttert,
ein Kinderspiel. Sie wünscht sich so dringend ein Kälbchen
und der Vater (Nick Cogley) arrangiert, daß dieses Kälbchen
heimlich gebracht wird. Mabel beobachtet zwei Männer
in der Scheune, und nimmt an, sie wollen ihr Heim berauben.
Der ganze Film gründet auf einer Serie von Fehlinterpretationen
der verschiedenen Protagonisten. Mabel benachrichtigt telefonisch
die Polizei. Damit löst sie einen wilden, parodistischen
Polizeieinsatz mit Hilfe von heugabelbewaffneten Hilfssheriffs
unter dem Befehl von Fred Mace im Tropenhelm, mit Karoweste
und langem flusigem Ziegenbart, aus. Diese exaltierten Polizisten,
die sich in großer Geschwindigkeit mit vielerlei Mißgeschicken
fortbewegen, oft in Totalen, sind die Vorläufer der Keystone
Cops, einer disfunktional herumrasenden Obrigkeit, die neben
den Bathing Beauties zu Keystones Attraktionen gehörten.
In den vielen Autofahrten der Keystone-Filme findet sich die
Metapher der unbewegten Bewegung, der Tücke des technischen
Objekts, das oft zusammenkracht oder ein exaltiertes Eigenleben
entwickelt wie in FATTY AND MABELS SIMPLE LIFE. Ein ungezähmtes
technisches Medium, das Auto, und trifft auf ein anderes,
das Kino. Und in einigen Filmen sitzt Mabel am Steuer, in
SPEED QUEEN 1913, THE CHAMPION 1913 und LOVE AND GASOLINE
1914, in MABEL AT THE WHEEL 1914, der in ihrer Regie entstand,
gewinnt sie ein Autorennen gegen alle Sabotagen Chaplins.
Zurück zu THE BANGVILLE
POLICE. Als eine befreundete Nachbarin sie besuchen möchte,
hält Mabel diese für die Einbrecher und stapelt
exzessiv Möbel aufeinander, mit panisch-wahllos dazwischengeworfenen
Kleidungsstücken und Büchern, um sich im Haus zu
verbarrikadieren. Der Vater entdeckt den verbarrikadierten
Raum, und vermutet, die Einbrecher in die Enge getrieben zu
haben. Mit der Waffe in der Hand dringt er in den Raum ein
und schießt planlos um sich. Mabel hat sich mit dem
Telephon im Schrank versteckt, greint in Großaufnahme
in die Kamera und versteckt sich hinter den Kleidern. Am Schluß
ist alles gut, im Stall finden sich keine bösen Einbrecher,
sondern ein kleines Kälbchen.
Der Film nimmt die Struktur der konvergierenden Montage der
Rettungsfilme auf, und erreicht es außerdem die vermeintliche
Rettung durch den Vater (und die väterliche Obrigkeit)
zur Bedrohung durch den wild herumschießenden Vater
werden zu lassen. Mabel im Schrank verdeckt vor Furcht ihr
Gesicht mit Kleidungsstücken, und schenkt dem Publikum
die kindliche Geste: "wenn ich nichts mehr sehe, sehen
mich die anderen auch nicht!" Dieser Moment des Sehens-Nichtsehens
findet sich auch in ihrem Repertoire vom Öffnen des einen
Auges, während das andere geschlossen bleibt, dabei spielt
sie die Ambivalenz von furchtsamem Lidschluß und aktivem
Blick aus (wie in RAGGEDY ROSE).
In MABELS MARRIED LIFE
(1914) Regie: Mabel Normand und Charlie Chaplin, blickt Mabel
immer wieder aus der Paarkonstellation heraus und nimmt den
Kontakt zum Publikum auf. Sie kommentiert das Verhältnis
zu ihrem Versager-Ehemann Charlie Chaplin mit skeptischen
Blicken und abwinkenden Gesten. Als der Trunkenbold sich wieder
mal in die Kneipe verdrückt, winkt sie mit der einen
Hand resigniert ab, die andere stützt sie im Akimbo in
die Taille. Diese Geste läßt sich zurückverfolgen
auf adlige Herrschaftsporträts aus dem 17. Jahrhundert,
galt mit der Machtablösung des Adels durch das Bürgertum
als Haltung, die ziseliert einer bürgerlichen Logik der
modernisierten Innerlichkeit widersprach, und somit als effeminiert,
homosexuell betrachtet wurde. Im frühen Film finden wir
diese Geste immer wieder bei Darstellerinnen, die herausfordernd
dominante Positionen einnehmen.
Mabel erwirbt einen überlebensgroßen
Boxdummi, der ihrem zudringlichen Nachmittagsflirt gleicht,
um Charlies Eifersucht zu foppen, und läßt ihn
sich ins Zimmer liefern. Dort parodiert sie Charlies Watschelgang
, wirft den Arm nach oben, winkt wieder ab und vergibt einen
Fußtritt ins Leere. Charlie trinkt sich währenddessen
in der Kneipe Männlichkeit an. Die anderen Männer
dort zupfen an seiner Krawatte und der Hose, die einen losen
Beutel vor seinem Unterleib bildet. Im Zimmer spielt Mabel
im Pyjama mit dem Stehaufdummie, spuckt sich in die Hände,
tanzt freudig auf ihn zu, holt zum Faustschlag aus, landet
einen Hieb, lacht schallend und wird von dem wieder hochkippenden
Dummi umgeworfen.
Wie MABELS BUSY DAY ist
auch dieser Film unter Mabel Normands Co-Regie entstanden.
Ohne in Autorinnenstilisierungen zu verfallen und eingedenk
der weniger arbeitsteiligen Struktur der frühen Filme,
scheint Mabel Normand doch in ihren wenigen selbstinszenierten
Filmen ihre Mobilität weitreichender auszuspielen zu
können. In MABELS MARRIED LIFE baut sie einen Konfrontationstanz
zwischen dem Bananen und Alkohol nuckelnden Ehemann und der
übergroßen phallischen Nebenbuhlerpuppe auf, an
dem sie sich mit Spaß beteiligt. Wieweit ihre Parodien,
die aus dem Wiederholen und Verschieben so unterschiedlicher
Texte wie viktorianischer Rettungsfilme, Aschenputtelgeschichten,
Ehe- und Adoleszenzdramen und der darin eingeschriebenen Geschlechterverhältnisse
bestanden, als solche auch wahrgenommen wurden, läßt
sich nur spekulieren.
Beschreibungen von Mabel
Normand rangieren zwischen tomboy, raggamuffin, wild-cap Mabel
und Hollywoods erstem I-Dont-Care-Girl. Wildfang ist sie auch
in ihrem späteren excessiven Alkohol-und Drogenkonsum
und ihrem verschwenderischen Lebensstil, der im frühen
TBC/Schwindsucht-Tod versickert. Die Infantilisierungsstrategien,
anders virulent als bei Roscoe Arbuckle, belagerten Mabel
ohne Unterlaß. Auf einem Sennett'schen Promotionfotos
befinden sie sich auf dem Höhepunkt: Mabel hockt eingerüscht
und unterleibslos im Kinderwagen.
Mrs. D.W. Griffith schreibt
in einem der ersten Augenzeugenberichte des frühen Kinos:
"Sie [Gertie Bambrick und Dorothy Gish] hatten ein Idol,
dem sie nacheifern wollten, und sie wollten allein sein, um
üben zu können. Das Idol war Mabel Normand. Könnten
sie wie Mabel Normand sein, gut, dann wären sie zufrieden
mit dem Leben. So strahlend, so fröhlich, so hübsch;
oh, könnten sie nur wie Mabel werden! Vielleicht würden
Zigaretten helfen. Sie kauften eine Schachtel. Und in einem
Laden kauften sie- psst - eine Flasche Gin. Sie hätten
sogar Gift geschluckt, wenn sie damit ihrem jugendlichen Traum
näher kommen könnten. (...) Ja, Mabel Normand war
das wunderbarste Mädchen der Welt, die Schönste,
der beste Kumpel. Kühn, unbekümmert und allzu großherzig,
war sie wie ein ausgelassenes Fohlen, das nicht zu zügeln
war."
Am Gentrifizierungsprozeß
nahm sie teil, ohne wirklich davon zu profitieren. Sie spielte
in dem ersten Sechs-Akter der amerikanischen Filmgeschichte
TILLIES PUNCTURED ROMANCE 1914/15, einem Marie Dressler- Vehikel
mit Mabel als Citygirl und Freundin des Cityslickers Chaplin,
der auf den Reichtum der Landpomeranze Dressler aus ist. Im
Movie Popularity Contest der Moving Picture World im Juli
1915 standen Pickford, Chaplin und Normand an erster Stelle.
Pickford verdiente 1250$ die Woche, Chaplin 10 000$ und Mabel
Normand 500$.
Die Vermarktungsstrategie für Mabels spätere Filme
umfaßte auch das Lancieren von Reklamesongs, wie z.B.
für die beiden Prestigeprojekte MICKEY und MOLLY O. Der
Tomboyfilm MICKEY wurde sogar schon vermarktet, bevor er gedreht
wurde. Es gab MICKEY-Schallplatten, Werbedias, Hemden, Socken,
Blumen, Eisbecher und Klavier- und Orchester-Arrangements.
Im NICKELHOPPER, einem
ihrer letzten Filme, im Hal Roach-Studio entstanden, arbeitet
Mabel als Eintänzerin. Während sie noch ihr Gesicht
pudert, wird sie zum Tanz ergriffen, herumgeschleudert, ihre
Beine rudern in der Luft, unter ihrem schwarzen Kleid mit
der Federpelzbordüre sind lange Unterhosen zu sehen.
Ihren Tanzpartnern wirft sie höchstens kurze Blicke zu.
Anders als die anderen Paare, die durch den Saal gleiten,
kippt Mabel/Paddy mit ihrer Aufmerksamkeit und ihren Bewegungen
dauernd aus den Paarkonstellationen heraus. Es gibt kein Funktionieren,
nur routiniert-genervtes Reagieren, das von Mabel mit Blicken
und kurzen Sätzen kommentiert wird. Das Tanzvergnügen
ist für sie eine mühevolle, groteske Arbeit, die
aus nicht zueinander passenden Körpern und Bewegungen
besteht. Akkordtanzen, zwei-einhalb Nickel der Tanz. Tags
arbeitet sie sich im Haushalt ab, rutscht Pippi-Langstrumpf-artig
auf der Bohnerbürste über den Küchenboden,
babysittet das Nachbarkind der schlaksigen Cellistin, und
versucht sich dem parasitären und paternalistischen Vater
zu entziehen. Als sie endlich Prince Charming gefunden hat,
laufen die beiden davon, Mabel trägt ein biedermeierliches
Brautkostüm. Sie klettern über eine Bretterwand,
wie wenn sie den Filmset verlassen wollten, stürzen ab,
der Bräutigam hängt an Mabels Füßen,
ihr Kleid öffnet sich und fröhlich lachend wird
Mabel Normand für den Mann zum Fallschirm.
Dank an Temby Caprio.
Madeleine Bernstorff
der Text erschien in Film und Kritik, Heft
3 (Doktorspiele, The Slapsticks of Roscoe Arbuckle) Basel/Frankfurt/Main
Oktober 1996
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