Madeleine Bernstorff______________

 

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____Oh, those eyes!
Mabel Normand
Von den frühen Slapstickzeiten, in denen Mabel Normand ihren purzelnden Körper in Windeseile wieder zusammensammelt bis zu ihrem verhalteneren, stilleren Spiel in den späten Filmen überlebt ihre zarte Pausbäckigkeit. Auf einigen Porträts verschwimmen Mabel's Augen in ein leichtes Schielen, ihre Augenbrauen sind je nach Mode dünn gebogen oder grade, oft mit einer Bewegung zur Stirnmitte hin, ihre dunklen Korkenzieherlocken manchmal hochgesteckt, oft verstrubbelt, manchmal asymmetrisch frisiert. Und immer sind es ihre Augen, die sich zum Himmel drehen, rollen, aufklappen und zuklappen, von Großaufnahmen betont, die sie in die Mitte der Aufmerksamkeit holen.

Als Ute Aurand mich einlud, in ihrer Filmreihe "Sie zum Beispiel", in der Filmliebhaberinnen Filme von Regisseurinnen vorstellten, ein Programm zu gestalten und zu begleiten, wünschte ich mir Mabel Normand.
Ich kannte sie als wilde Squaw in Griffiths Biograph- Einakter A SQUAW'S LOVE (1911), ihren nicht-gedoubelten, eindrucksvollen Sturz ins Wasser, ihre tauchende Rettungsaktion mit dem Messer zwischen den Zähnen. Ich erhoffte mir von Mabel Normand weitere serial-queen-Qualitäten. Als low-brow-Unterhaltung, die den Markt der weiblichen Zuschauerin miteinbezog, holten die serial-queen- Melodramen die populäre Mythologie der Neuen Frau fürs Kino ab. Die Geschlechtertrennung zwischen öffentlicher und häuslicher Sphäre hatte sich verringert, die Werte von Mütterlichkeit und Häuslichkeit, wurden überlagert von neuen Werten. Die Konsumkultur hofierte die Frauen mit einem modernisierten Frauenbild.
Der realpolitische Hintergrund, die Kämpfe um das Frauenwahlrecht, wurden in Fragen des Looks, der Mobilität und des Warentauschs aufgehoben. Kleider und Haare wurden kürzer, die Frauen der Mittelschicht und Arbeiterklasse, Immigrantinnen und Töchter der ImmigrantInnen tummelten sich auf Straßen und schlecht bezahlten Arbeitsplätzen.
"Jubelnd nennt sie sich den beinahe-Bruder des Mannes ... Sie liebt es zu gehen, zu rudern, zu reiten, zu fahren, zu springen und zu rennen, nicht zierlich auf hohen Absätzen, mit in Seide gekleideter Eleganz, sondern so wie der Mann geht, springt, rudert, reitet, fährt und rennt."
Mabel Normands Locken und Röcke blieben lang, ab und an spielte sie tomboy - und Hosenrollen. Ihre Beliebtheit beim Publikum, eröffnete ihr eine Serie von Mabel-Filmtiteln; mit Roscoe Arbuckle, dessen geliebte Gestalt sie in den Filmen mit großen ausholenden Armbewegungen umschrieb, bildete sie das populärste boy-and-girl-Team der Stummfilmzeit. In ihrer körperlichen, mimischen Präsenz, ihrem expressiven Stil fand sie zu einer Mobilität, die sich auch im Verschieben und Parodieren der Genres zeigt.

Aber nicht nur die Genreparodie auch das physische Anderswo-Sein findet sich in einigen Filmen: Als nächstes sah ich Mabel Normand in dem Griffith-Melodram SAVED FROM HIMSELF (1911). Hier bewahrt sie ihren Verlobten, spirituell unterstützt von dessen betender Mutter, vor dem üblen Verbrechen eines Diebstahls. In Anbetracht seiner drohenden Missetat blickt sie augenrollend in die Kamera - eine kurze Einstellung, in der Mabels komische Präsenz aus dem moralischen Besserungsmelodram herauskippt und ihre spätere Komödienpersona aufblitzt.

In JOAN OF PLATTSBURG, einem Durchhalte-film von 1918 imaginiert sich Mabel Normand als reinkarnierte Jeanne D'Arc. Sie hört Stimmen, die sich gegen die Regierung verschwören, und vereitelt den Verkauf von Regierungsgeheimnissen: "Eine sehr hübsche Idee, kunstvoll ausgearbeitet vom Produzenten, aber es fehlt ihr am wichtigsten, an der Spiritualität des Stars ... Miss Normand erweist sich sehr fähig in allen Komödiendarstellungen, aber wenn es darum geht, den Materialismus in Spiritualität zu verwandeln, ist sie nicht da. Mit anderen Worten, Miss Normand ist immer ein physisches Wesen und das läßt sie uns nicht vergessen."
Mabel Normands Arbeit als Fotomodell, später als bathing-beauty im enganliegenden, enthüllenden Badeanzug in der Anfangszeit von Mack Sennetts Keystone Produktion, ihre überdrehten, clownesken Farcen wurden abgelöst von Adoleszenz- und Ehekriegen, in denen sie mit Roscoe Arbuckle idyllisch-infantile Momente eines komischen Duos anspielt. In FATTY AND MABEL ADRIFT (1916) leben die beiden nach geglückter Heirat in einem Strandhäuschen zusammen und schlafen in getrennten Betten und Räumen. Nur Fatty's Schatten küßt Mabel im Schlaf und sie lächelt zart. Erst der Angriff von außen und das langsame Versinken des Häuschens im Ozean treibt die beiden Betten aufeinander zu. In FATTYS AND MABELS SIMPLE LIFE (1915) antwortet Mabel auf Fatty's phallisch-voyeuristische Aggression, sein attraktionssüchtiges Lugen mit einem gezielten Zitzenspritzer aus dem Euter der Kuh, die sie gerade melkt. Der weiße Strahl trifft durch das Astloch direkt in Fatty's Auge, er öffnet seinen Mund und trinkt, die Flüßigkeit rinnt ihm übers Kinn. Trotz ihres Spaßes an der gelungenen Gegenwehr verschwindet Mabel fast hinter der ejakulativen Metapher. Die Szene bringt die "Unterleibsvulgarität" der Slapstickkomödien mit den unzähligen Schlauchspritzereien in einen ländlich-bukolischen Zusammenhang.

Die späten, langen Filme verlagern ihre Adoleszenzkrisen in die Stadt, Mabel Normand spielt die Lumpensammlerin (RAGGEDY ROSE, 1926), die Film-Statistin (EXTRA GIRL, 1923), die an ihrem Look scheitert und im Kostüm-Fundus die Staffagen der Filmindustrie bedient, und in THE NICKEL HOPPER (1926), einem der wenigen Filme, der einen expliziten Bezug auf Berufstätigkeit und Hausarbeit liefert, ist sie die disfunktionale Tanzlehrerin, die nachts und tags arbeitet.

Mabel Normand erzeugt durch ihr Spiel zum Publikum mit dem begrenzten Repertoire von rollenden Augen und weiteren histrionischen Gesten einen Raum, der jenseits der dominanten Diskurse verortet ist. Sie spielt einen exzessiven Dialog zwischen dem restriktiven Potential viktorianischer Weiblichkeit und einem wilderen Wesen, das oft jedoch in Infantil-plots zurückgenommen wird. Momente dieser Zähmungsbewegung finden sich immer wieder.
Als Kind eines mehr oder weniger ernstgenommenen Vaters, gerät sie in Konflikt mit dessen Verheiratungswünschen, ihr wird der Hintern versohlt wie in FATTY AND MABELS SIMPLE LIFE und sie zieht sich in verzweifelter Regression ins Bett zurück. Bettszenen, Pyjamaszenen und ganz selten auch Nachthemdauftritte vermitteln 'unschuldige' Anspielungen auf eine adoleszente Sexualität. Die Betten und Bettkleidungen erlauben vorsichtige Hinweise auf Orte und Enthüllungen sexueller Phantasien. In MABELS MARRIED LIFE kommentieren die Männer ihre weiblichen Formen im Pyjama, und Mabel wickelt sich zum Schutz vor den Blicken ein Leopardenfell um die Hüften. In EXTRAGIRL sehen wir ihre entblößten Schultern, und sie baut sich aus der Bettdecke ein Sackkleid, statt in ihr Brautkleid zu schlüpfen. In NICKELHOPPER führt sie allein im Raum einen breitbeinigen Nachthemdtanz mit Schleppenspiel auf.
Ihre direkte Ansprache des Publikums als Blick in die Kamera, als histrionische Gestik und Mimik hält sich bis in die späten Hal Roach-Filme, Relikt des cinema of attractions, das den Frauen auf der Leinwand und im Publikum einen komplizinnenhaften Raum gewährte. Genau hier bleibt Mabel Normands Humor subversiv im Sinne einer Öffnung der Erzählstruktur zum Publikum hin.

Komödiantinnen aber sind seltsam verschluckt von der Filmgeschichte. Wenige von ihnen entwickeln durchgängige Profile oder erhaschen die Möglichkeit, ihre Leinwandpersona zu entwickeln. Vielfach arbeiten die Komödien mit weiblichen Clowns daran, die traditionelle Witz- und Zotenstruktur wiederherzustellen, die Subjektposition der Clownin zurückzuverwandeln zum Objekt des komischen Diskurses. Parallel zum Reifungsprozeß des Kinos gibt es jedoch abgesehen von dem Stereotyp der sexualitätsdisziplinierenden schrulligen Alten einige Backfische, Teenager und Töchter, die mit lauten Bewegungen gegen patriarchale Gesetze revoltieren.

Mabel Normand spielt in ihren frühen Rollen und auch in den Filmen, in denen sie Regie geführt hat, weniger eine Kolombine, als die sie George Sadoul beschreibt, sondern eher den in Karos gekleideten weiblichen Clown mit den überlangen Schuhen. In MABELS BUSY DAY (1914) ist sie die proletarische Würstchenverkäuferin, der ein Polizist zu einem hinter einem riesigen Bretterzaun stattfindenden Autorennen Zutritt verschafft. Bald schon gerät sie in Konflikt mit der anwesenden Gesellschaft: die Damen behandeln sie herablassend, die Herren ausbeuterisch. Als Charlie Chaplin ihr schließlich scheinbar hilft, dann aber doch nur die Würstchen klaut, gerät die ganze Szenerie in einen Wirbel von Arschtritten und Herumjagereien. Mabel verteilt dabei kräftige Fußtritte mit weit ausholendem Beinschwung. Ein unwillkürliches Zucken des Armes wird zu einer Ohrfeige, ein Schleudern des Beines zu einem Tritt in den Hintern der Gegner. Deutlicher als die anderen Protagonisten wippt sie jedoch immer wieder zurück in ostentatives Greinen und Weinen, spielt die Gesten einer schutzsuchenden viktorianischen Weiblichkeit parodistisch aus, um dann gleich wieder trippelnd sich in Fahrt zu bringen für die nächsten Fußtritte. Diese Bewegung zwischen arschzielenden Slapstickgewalttätigkeiten und dem übersteigerten Jammern scheint unmittelbar zusammenzugehören, die offensive Subjektposition ist nicht möglich ohne reaktive Objektposition.

In einem weiteren Biograph-film unter der Regie von Mack Sennett A DASH THROUGH THE CLOUDS (1912) ist der Ausgangspunkt von Mabels Ausflügen in die Welt der Mobilität ein mit wilden Rosen überwucherter Hauseingang, aus dessen Idylle sie hervortritt. Sie findet viel größeren Gefallen an einem schicken Flieger als an ihrem rundlichen Verlobten Fred Mace. Sie tanzt vor Begeisterung angesichts der zweisitzigen Propellermaschine. Sie möchte hinauf. Sie steigt auf den Sitz, schnallt sich an und schaukelt vor Vergnügen hin und her, das Flugzeug wird zur Lustmaschine, sehr zum Mißfallen ihres Verlobten. Später wird dieser jedoch von der mit dem Piloten und zwei Pistolen heranfliegenden Mabel vor der Bedrängnis durch eine mexikanische Großfamilie gerettet. Mabel führt die zwei Männer dann auch noch zur Versöhnung zusammen- und entzieht sich mit Nonchalance der Besitzselbstverständlichkeit ihres Verlobten. Im Schlußbild muß der Mann wieder davonrennen. Und Mabel lacht von oben.
Der Film bezieht seinen Witz aus dem Ernstnehmen von Mabels Wünschen und Begierden nach einer aufregenden und erhebenden Liebesgeschichte, aus der Darstellung ihrer libidinösen Durchsetzungskraft und souveränen Überheblichkeit gegen ihren drögen Verlobten, der sie als sein Eigentum behandelt. Gleichzeitig gelingt es dem Film Mabels Begehren an ein Mobilität versprechendes technisches Medium zu binden. In ihrer aktiven Position im Verhältnis zu den zwei Männern bevorzugt sie das Flugzeug mit Mann und koppelt die Lust an Technisierung. Daß diese Lust hierdurch zur Warenlust wird, entschärft und desexualisiert wird, gehört zu den Ambivalenzen dieser Darstellung.

Noch deutlicher ist die in A DASH THROUGH THE CLOUDS angedeutete Parodie auf die unzähligen last-minute-rescue- Filme , die meist den Angriff auf die viktorianische Häuslichkeit beinhalten, verbunden mit einer übers Telephon vermittelten Spannungsmontage, in der Keystone-Produktion THE BANGVILLE POLICE (1913). Mabel Normand spielt wie in den Roscoe-Arbuckle-Filmen FATTY AND MABELS SIMPLE LIFE (1915) und FATTY AND MABEL ADRIFT (1916) die ländliche, naive Tochter. Der Film beginnt damit, wie sie auf die Kamera zurennt, in der Hand ein Büschel Stroh, die Locken verstrubbelt und die Kuh im Stall füttert, ein Kinderspiel. Sie wünscht sich so dringend ein Kälbchen und der Vater (Nick Cogley) arrangiert, daß dieses Kälbchen heimlich gebracht wird. Mabel beobachtet zwei Männer in der Scheune, und nimmt an, sie wollen ihr Heim berauben. Der ganze Film gründet auf einer Serie von Fehlinterpretationen der verschiedenen Protagonisten. Mabel benachrichtigt telefonisch die Polizei. Damit löst sie einen wilden, parodistischen Polizeieinsatz mit Hilfe von heugabelbewaffneten Hilfssheriffs unter dem Befehl von Fred Mace im Tropenhelm, mit Karoweste und langem flusigem Ziegenbart, aus. Diese exaltierten Polizisten, die sich in großer Geschwindigkeit mit vielerlei Mißgeschicken fortbewegen, oft in Totalen, sind die Vorläufer der Keystone Cops, einer disfunktional herumrasenden Obrigkeit, die neben den Bathing Beauties zu Keystones Attraktionen gehörten. In den vielen Autofahrten der Keystone-Filme findet sich die Metapher der unbewegten Bewegung, der Tücke des technischen Objekts, das oft zusammenkracht oder ein exaltiertes Eigenleben entwickelt wie in FATTY AND MABELS SIMPLE LIFE. Ein ungezähmtes technisches Medium, das Auto, und trifft auf ein anderes, das Kino. Und in einigen Filmen sitzt Mabel am Steuer, in SPEED QUEEN 1913, THE CHAMPION 1913 und LOVE AND GASOLINE 1914, in MABEL AT THE WHEEL 1914, der in ihrer Regie entstand, gewinnt sie ein Autorennen gegen alle Sabotagen Chaplins.

Zurück zu THE BANGVILLE POLICE. Als eine befreundete Nachbarin sie besuchen möchte, hält Mabel diese für die Einbrecher und stapelt exzessiv Möbel aufeinander, mit panisch-wahllos dazwischengeworfenen Kleidungsstücken und Büchern, um sich im Haus zu verbarrikadieren. Der Vater entdeckt den verbarrikadierten Raum, und vermutet, die Einbrecher in die Enge getrieben zu haben. Mit der Waffe in der Hand dringt er in den Raum ein und schießt planlos um sich. Mabel hat sich mit dem Telephon im Schrank versteckt, greint in Großaufnahme in die Kamera und versteckt sich hinter den Kleidern. Am Schluß ist alles gut, im Stall finden sich keine bösen Einbrecher, sondern ein kleines Kälbchen.
Der Film nimmt die Struktur der konvergierenden Montage der Rettungsfilme auf, und erreicht es außerdem die vermeintliche Rettung durch den Vater (und die väterliche Obrigkeit) zur Bedrohung durch den wild herumschießenden Vater werden zu lassen. Mabel im Schrank verdeckt vor Furcht ihr Gesicht mit Kleidungsstücken, und schenkt dem Publikum die kindliche Geste: "wenn ich nichts mehr sehe, sehen mich die anderen auch nicht!" Dieser Moment des Sehens-Nichtsehens findet sich auch in ihrem Repertoire vom Öffnen des einen Auges, während das andere geschlossen bleibt, dabei spielt sie die Ambivalenz von furchtsamem Lidschluß und aktivem Blick aus (wie in RAGGEDY ROSE).

In MABELS MARRIED LIFE (1914) Regie: Mabel Normand und Charlie Chaplin, blickt Mabel immer wieder aus der Paarkonstellation heraus und nimmt den Kontakt zum Publikum auf. Sie kommentiert das Verhältnis zu ihrem Versager-Ehemann Charlie Chaplin mit skeptischen Blicken und abwinkenden Gesten. Als der Trunkenbold sich wieder mal in die Kneipe verdrückt, winkt sie mit der einen Hand resigniert ab, die andere stützt sie im Akimbo in die Taille. Diese Geste läßt sich zurückverfolgen auf adlige Herrschaftsporträts aus dem 17. Jahrhundert, galt mit der Machtablösung des Adels durch das Bürgertum als Haltung, die ziseliert einer bürgerlichen Logik der modernisierten Innerlichkeit widersprach, und somit als effeminiert, homosexuell betrachtet wurde. Im frühen Film finden wir diese Geste immer wieder bei Darstellerinnen, die herausfordernd dominante Positionen einnehmen.

Mabel erwirbt einen überlebensgroßen Boxdummi, der ihrem zudringlichen Nachmittagsflirt gleicht, um Charlies Eifersucht zu foppen, und läßt ihn sich ins Zimmer liefern. Dort parodiert sie Charlies Watschelgang , wirft den Arm nach oben, winkt wieder ab und vergibt einen Fußtritt ins Leere. Charlie trinkt sich währenddessen in der Kneipe Männlichkeit an. Die anderen Männer dort zupfen an seiner Krawatte und der Hose, die einen losen Beutel vor seinem Unterleib bildet. Im Zimmer spielt Mabel im Pyjama mit dem Stehaufdummie, spuckt sich in die Hände, tanzt freudig auf ihn zu, holt zum Faustschlag aus, landet einen Hieb, lacht schallend und wird von dem wieder hochkippenden Dummi umgeworfen.

Wie MABELS BUSY DAY ist auch dieser Film unter Mabel Normands Co-Regie entstanden. Ohne in Autorinnenstilisierungen zu verfallen und eingedenk der weniger arbeitsteiligen Struktur der frühen Filme, scheint Mabel Normand doch in ihren wenigen selbstinszenierten Filmen ihre Mobilität weitreichender auszuspielen zu können. In MABELS MARRIED LIFE baut sie einen Konfrontationstanz zwischen dem Bananen und Alkohol nuckelnden Ehemann und der übergroßen phallischen Nebenbuhlerpuppe auf, an dem sie sich mit Spaß beteiligt. Wieweit ihre Parodien, die aus dem Wiederholen und Verschieben so unterschiedlicher Texte wie viktorianischer Rettungsfilme, Aschenputtelgeschichten, Ehe- und Adoleszenzdramen und der darin eingeschriebenen Geschlechterverhältnisse bestanden, als solche auch wahrgenommen wurden, läßt sich nur spekulieren.

Beschreibungen von Mabel Normand rangieren zwischen tomboy, raggamuffin, wild-cap Mabel und Hollywoods erstem I-Dont-Care-Girl. Wildfang ist sie auch in ihrem späteren excessiven Alkohol-und Drogenkonsum und ihrem verschwenderischen Lebensstil, der im frühen TBC/Schwindsucht-Tod versickert. Die Infantilisierungsstrategien, anders virulent als bei Roscoe Arbuckle, belagerten Mabel ohne Unterlaß. Auf einem Sennett'schen Promotionfotos befinden sie sich auf dem Höhepunkt: Mabel hockt eingerüscht und unterleibslos im Kinderwagen.

Mrs. D.W. Griffith schreibt in einem der ersten Augenzeugenberichte des frühen Kinos: "Sie [Gertie Bambrick und Dorothy Gish] hatten ein Idol, dem sie nacheifern wollten, und sie wollten allein sein, um üben zu können. Das Idol war Mabel Normand. Könnten sie wie Mabel Normand sein, gut, dann wären sie zufrieden mit dem Leben. So strahlend, so fröhlich, so hübsch; oh, könnten sie nur wie Mabel werden! Vielleicht würden Zigaretten helfen. Sie kauften eine Schachtel. Und in einem Laden kauften sie- psst - eine Flasche Gin. Sie hätten sogar Gift geschluckt, wenn sie damit ihrem jugendlichen Traum näher kommen könnten. (...) Ja, Mabel Normand war das wunderbarste Mädchen der Welt, die Schönste, der beste Kumpel. Kühn, unbekümmert und allzu großherzig, war sie wie ein ausgelassenes Fohlen, das nicht zu zügeln war."

Am Gentrifizierungsprozeß nahm sie teil, ohne wirklich davon zu profitieren. Sie spielte in dem ersten Sechs-Akter der amerikanischen Filmgeschichte TILLIES PUNCTURED ROMANCE 1914/15, einem Marie Dressler- Vehikel mit Mabel als Citygirl und Freundin des Cityslickers Chaplin, der auf den Reichtum der Landpomeranze Dressler aus ist. Im Movie Popularity Contest der Moving Picture World im Juli 1915 standen Pickford, Chaplin und Normand an erster Stelle. Pickford verdiente 1250$ die Woche, Chaplin 10 000$ und Mabel Normand 500$.
Die Vermarktungsstrategie für Mabels spätere Filme umfaßte auch das Lancieren von Reklamesongs, wie z.B. für die beiden Prestigeprojekte MICKEY und MOLLY O. Der Tomboyfilm MICKEY wurde sogar schon vermarktet, bevor er gedreht wurde. Es gab MICKEY-Schallplatten, Werbedias, Hemden, Socken, Blumen, Eisbecher und Klavier- und Orchester-Arrangements.

Im NICKELHOPPER, einem ihrer letzten Filme, im Hal Roach-Studio entstanden, arbeitet Mabel als Eintänzerin. Während sie noch ihr Gesicht pudert, wird sie zum Tanz ergriffen, herumgeschleudert, ihre Beine rudern in der Luft, unter ihrem schwarzen Kleid mit der Federpelzbordüre sind lange Unterhosen zu sehen. Ihren Tanzpartnern wirft sie höchstens kurze Blicke zu. Anders als die anderen Paare, die durch den Saal gleiten, kippt Mabel/Paddy mit ihrer Aufmerksamkeit und ihren Bewegungen dauernd aus den Paarkonstellationen heraus. Es gibt kein Funktionieren, nur routiniert-genervtes Reagieren, das von Mabel mit Blicken und kurzen Sätzen kommentiert wird. Das Tanzvergnügen ist für sie eine mühevolle, groteske Arbeit, die aus nicht zueinander passenden Körpern und Bewegungen besteht. Akkordtanzen, zwei-einhalb Nickel der Tanz. Tags arbeitet sie sich im Haushalt ab, rutscht Pippi-Langstrumpf-artig auf der Bohnerbürste über den Küchenboden, babysittet das Nachbarkind der schlaksigen Cellistin, und versucht sich dem parasitären und paternalistischen Vater zu entziehen. Als sie endlich Prince Charming gefunden hat, laufen die beiden davon, Mabel trägt ein biedermeierliches Brautkostüm. Sie klettern über eine Bretterwand, wie wenn sie den Filmset verlassen wollten, stürzen ab, der Bräutigam hängt an Mabels Füßen, ihr Kleid öffnet sich und fröhlich lachend wird Mabel Normand für den Mann zum Fallschirm.

Dank an Temby Caprio.

Madeleine Bernstorff

der Text erschien in Film und Kritik, Heft 3 (Doktorspiele, The Slapsticks of Roscoe Arbuckle) Basel/Frankfurt/Main Oktober 1996