...Filmstills aus La ville bidon und Accroches toi

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Bilka - Texte - Miesmuschel

 

___KLEINE PFADE – VERSCHRÄNKTE GESCHICHTEN
Eine 3-tägige Filmreihe mit Kommentaren
19.-21.09.2009 im Haus der Kulturen der Welt

Diese Filmreihe (Programm- und Filmbeschreibungen siehe >> kleinepfade.pdf) setzt sich auf die Spur verschlungener, abgelenkter und sich verlierender Wege, welche die großen Machtlinien im (post)kolonialen urbanen Raum zwischen Nordafrika und Europa durchqueren und im Kino reflektiert werden.

Einen Blick auf solche Seitenpfade wagen 1968 Magid Rechiche, Mohammed Tazi und Ahmed Bouanani mit dem Film 6 ET 12. Der Film hält Ausschau nach den ausfasernden Rändern der geregelten Ordnung in der modernen Metropole Casablanca. Dabei zeigt er aber keineswegs das Elend der Bidonvilles, von denen Filmbilder zu machen ohnehin nicht erlaubt war, sondern spürt den leichten Brüchen in der Schwere einer routinierten Normalität nach, im Gleichtakt eines glorifizierten Fortschritts. Von diesem handelt auch AUBERVILLIERS von Eli Lotar, der als Kameramann mit Luis Bunuel zusammengearbeitet hatte, gedreht im Sommer 1945. Der Film führt uns in die Industrie-Vorstadt: Die Müllverbrennungsanlage von Paris, improvisierte Behausungen und die Arbeit mit der Natronlauge. Pierre Laval, Autor des „Décret Laval“ von 1934, das Filmaufnahmen im kolonialen, frankophonen Afrika reglementierte, war fast 20 Jahre lang Bürgermeister von Aubervilliers, bis er 1944 als Kollaborateur hingerichtet wurde. Im Film kommt er vor als einer, der „das Blaue vom Himmel versprach: Moderne Häuser. Einen überdachten Markt, sonniges und günstiges Wohnen. Fließend Wasser, eine Musterschule, Spielplätze. Kindergärten.“ Eine Trickmontage im Bilderrahmen zeigt uns die Versprechen der Moderne.


Still: AUBERVILLIERS

Das Kino ist selbst ein Ort der Produktion und der Verschränkung unterschiedlicher Räume der Moderne. Dazu gehören nicht nur die Interventionen des Kolonialismus, sondern auch vielfältige Widerstandsformen, die sich zum einen in der Alltagskultur, aber auch auf der politischen Bühne zeigen. So lassen in TRÉSORS DE SCOPITONES ARABES, KABYLES ET BERBÈRES von 1999 die Regisseurinnen Michèle Collery und Anaïs Prosaïc die Welt der maghrebinischen Cafés im Paris der 1960er- und 1970er-Jahre wieder aufleben. Es ist die Welt auch der Scopitones, der 16-mm-Kurzfilme aus der gleichnamigen Bilder-Jukebox: nostalgische Lieder und erzählerische Performances, etwa eines Salah Sadaoui, der sich über die harten Bedingungen in der Migration mokiert, hippie-eske orientalische Tanzeinlagen oder der Berber-Glam-Rock einer Gruppe wie Les Abranis. In einer Bar in Belleville führt der Film Beteiligte der Erfolgsgeschichte dieses Formats und einige der Stars von damals wieder zusammen: Die Scopitones sind im Zuge der Verbreitung von Audiokassetten, Video, Fernsehen und freien Radios verschwunden, genauso wie die meisten der Cafés.


TRÉSORS DE SCOPITONES ARABES, KABYLES ET BERBÈRES

Gezeigt wird in Kleine Pfade auch der erste französische antikoloniale Film überhaupt: AFRIQUE 50 von René Vautier. Der Film war 40 Jahre lang verboten, genauso wie Vautiers Kurzfilm LE GLAS, den er unter seinem Gefangenennamen „Ferid Dendeni“ 1964 zur Unterstützung der ZAPU (Zimbabwe African Party for Unity) produzierte. In einem ausführlichen Publikumsgespräch wird Vautier sein Engagement mit der „Kamera als Waffe“, das von der bretonischen Résistance über den algerischen Widerstand und die Streikunterstützung der Bergleute reicht, an Ausschnitten seiner Filme erläutern.


AFRIQUE 50


___Das Centre Cinématographique Marocain (CCM) in Rabat, Marokko

Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung des Manifestes der Unabhängigkeit am 11. Januar 1944 wurde am 9. Januar das Centre Cinématographique Marocain (CCM) unter der Direktion des Franzosen Henri Monjeau, der zudem als Pressechef der "Résidence générale" fungierte, gegründet. Die Aufgabe des CCM sollte nicht nur aus der Distribution und Bewirtschaftung des Filmsektors bestehen, sondern eine marokkanische Filmproduktion in Gang bringen, die, wie der Filmwissenschaftler Abdelkader Benali (Le cinéma colonial au maghreb, Les Editions du Cerf, 1998) es formuliert, den wachsenden Einfluss des ägyptischen Kinos zurückdrängen und die Verbreitung arabisch-islamischer Nationalismen unterbinden sollte. Institutionelles Vorbild war das Centre National du Cinéma (CNC), das unter dem Vichy-Regime entstanden ist.

Der erste Student am Institut des Hautes Etudes Cinématographiques (IDHEC) – der Filmschule in Paris – mit maghrebinischem Hintergrund war Ahmed Belhachmi, der 1958 am CCM nach Henri Monjeau die Leitung übernahm. Ein sehr grosser Anteil der Filmproduktion in den ersten zwölf Jahren nach der Unabhängigkeit Marokkos – vor allem Kurzfilme und Auftragsfilme – fand im institutionellen Rahmen des CCM statt, wohingegen die koloniale Infrastruktur von 350 35mm-Kinos privatisiert worden war. Ab 1958 produzierte das CCM eine eigene Wochenschau. Ausser ein paar wenigen Ausnahmen führte erst die Umstrukturierung der Institution 1977 dazu, dass RegisseurInnen längere Spielfilme in Koproduktion mit dem CCM realisieren konnten. Zu Beginn der 1980er Jahre wurde mit dem "fonds de soutien" im Rahmen des CCM ein Fördersystem installiert (1987 in den "fonds de l'aide" umgewandelt). Seit dieser Zeit stellt das CCM einen kinematographischen Komplex dar, der Archiv, Kino, Laboratorien, Dreh-Equipment und Tonstudios umfasst, die im gesamten afrikanischen und arabischen Raum als die besten gelten. Seit den 1990er Jahren wird eine Koproduktionspolitik mit Filmen aus Mali, der Elfenbeinküste oder Tunesien verfolgt. So hat etwa die gesamte Postproduktion von "Mooladé" (2003), Sembene Ousmanes letztem Film, hier stattgefunden.
Wir sind dem CCM zu besonderem Dank verpflichtet

Brigitta Kuster und Madeleine Bernstorff

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