FRÜHE INTERVENTIONEN
SUFFRAGETTEN – EXTREMISTINNEN DER SICHTBARKEIT

  Montag 27.9.2010  
  18 Uhr  


A Militant Suffragette /A Busy day, USA 1914, Kinemathek Hamburg


Bobby und die Frauenrechtlerinnen, D 1911, EYE


Pickpocket, USA 1913, EYE


Les Résultats du féminisme, F 1906, Pathé Gaumont Archives


Die Suffragette, D 1913, Deutsche Kinemathek


Works and Workers at Denton Holme, GB 1910, BFI

Die politische Inszenierung der Suffragetten
in England

Ein Vortrag von Jana Günther
mit Vorführung des Films A Militant Suffragette /A Busy day (Charlie Chaplin USA 1914)

Die Suffragetten – zwischen permanentem Spektakel und Kreuzzug. Nach der Jahrhundertwende avancierten die militanten Frauenrechtlerinnen Großbritanniens – die Suffragetten – zu Galionsfiguren der modernen politischen Inszenierung. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte dabei ihre strategische Bildpolitik. Zahlreiche Fotografien, Symbole und Insignien belegen die vielfältigen Visualisierungsakte. Die Suffragetten übernahmen Teile des Aktionsrepertoires der Arbeiterbewegung und erprobten darüber hinaus neue spektakuläre Akte kollektiven zivilen Ungehorsams wie das Anketten vor parlamentarischen Gebäuden, Hungerstreiks und Störaktionen, um ihr Anliegen in der Öffentlichkeit medienwirksam zu platzieren. Sie erfanden neue ikonografische Stilmittel und erreichten durch die Reproduktionen ihrer Flyer, Postkarten und Fotografien eine Sichtbarkeit ihres Protestes weit über die Landesgrenzen hinaus. Da ihre Politikform und ihr Erscheinungsbild nicht den gängigen Vorstellungen von sittsamen Frauen entsprachen, wurden sie in der Öffentlichkeit oft satirisch bis zynisch dargestellt. Das rigorose Vorgehen der Ordnungsmacht und die Ignoranz der politischen Mehrheit führten zu einer weiteren Radikalisierung. „Öffentlichkeit um jeden Preis“ schien sich zum politischen Programm zu entwickeln. Dabei schreckten die Suffragetten auch vor militanten Aktionen nicht zurück.

 
19 Uhr  

Die Suffragette
Einführung: Karola Gramann und Heide Schlüpmann
Klavierbegleitung: Eunice Martins

In Bobby bei den Frauenrechtlerinnen empört sich der Zeitungsleser Bobby über die Suffragetten, verkleidet sich selber aber als eine solche, besucht eine Versammlung der Suffragetten und verhält sich so grotesk, dass er enttarnt und nun von den Suffragetten verfolgt wird. In Pickpocket lässt der dicke Ehemann seine hageren Gattin, die ihm die Mahlzeiten nicht pünktlich serviert, mit Hilfe anderer Männer verhaften; sie bekommt einen dramatischen, „hysterischen“ Wutausbruch im Gefängnis und wird erpresst, aus dem Suffragettenclub auszutreten. Alice Guy parodiert in Les Résultats du féminisme die „feministischen Errungenschaften“ anhand einer konsequenten Umkehrung der Geschlechterrollen.
Das Melodram Die Suffragette nimmt sich bis in die Rollennamen die englische Suffragettenbewegung zum Vorbild. Asta Nielsen spielt Nelly Panburne, die „berauscht von der weiblichen Beredsamkeit“ einwilligt, die „Feuertaufe der Suffragetten zu empfangen“. Sie radikalisiert sich, schlägt Fensterscheiben ein (eine Szene, die von der Münchner Zensur entfernt wurde), hält flammende Reden und wird im Gefängnis zwangsernährt. Schließlich verliebt sie sich in ihren erbittertsten politischen Gegner, Lord Ascue, und verhindert in letzter Minute einen Bombenanschlag auf die Parteiversammlung der Suffragettengegner. Doch selbst diese große Liebes-Zähmung spielt Nielsen mit gegenläufiger Präsenz. Der Film wurde von der Zensur mit heftigen Schnittauflagen belegt. Die restaurierte Fassung der Stiftung Deutsche Kinemathek enthält auch die wiedergefundene Zwangsernährungsszene.

Bobby und die Frauenrechtlerinnen
D 1911 Oskar Messter 112m 6’

Pickpocket
USA 1913 260 m 13’

Die Errungenschaften des Feminismus
(Les Résultats du féminisme)
F 1906 R: Alice Guy 5’

Die Suffragette
D 1913 R: Urban Gad D: Asta Nielsen (Nelly Panburne) 60‘

 
21 Uhr  

Das Jahr der Leibwache

Anfang 1911 veröffentliche das Conciliation Committee der WSPU ein Memorandum mit einer systematischen Auflistung von 129 Beschwerden wegen polizeilicher Übergriffe bei Suffragetten- Demonstrationen im November 1910. Viele dieser Beschwerden bezogen sich auf „gezielt unanständige Behandlung“ und auf „gezielte Gewaltausübung“.(Quelle: National Archives London)
Der Essayfilm Im Jahr der Leibwache des Filmemachers und Theoretikers Noël Burch geht mit den Mitteln von Comic Strips, fake documentary und Archivmaterial der Geschichte jener Suffragetten nach, die 1912 unter der ersten weiblichen Jiu-Jitsu-Expertin Edith Garrud ein Training absolvierten, um gegen die Polizei zu kämpfen und ihrer Anführerinnen beschützen zu können. Edith Garrud unterrichtete die Geheim-Leibwache der Suffragetten in der Technik, die Kraft des Angreifers gegen ihn selbst zu verwenden.
In Wife the Weaker Vessel wird ein Pantoffelheld von seinem Freund verspottet und rächt sich, indem er die Sport- und Boxlehrerin Chrissie White auf ihn ansetzt... Die Schwestern Bartels bieten ihr Repertoire in spezieller Ausstattung dar: eine Fahrrad fahrende Zofe, grazile Pagen und die starke Athletin in Rüschenunterhosen. In dem Fabriktorfilm Works and Workers at Denton Holme erfasst die Kamera unermüdlich und liebevoll die Frauen und Männer, Mädchen und Knaben, die sich bald danach den Film angesehen haben. Bonsoir.

Die Frau, die schwächere Ehehälfte
(Wife, The Weaker Vessel )
GB 1915 D: Ruby Belasco, Chrissie White, 190m 9’

Elegante Artistik der Schwestern Bartels
(Le Sorelle Bartels)
I 1910 74m 4’

Das Jahr der Leibwache
(The Year of the Bodyguard)
R: Noel Burch 1981 54’ ZDF

Fabrik und Belegschaft von Denton Holme
(Works and Workers at Denton Holme)
GB 1910, 90m 5’