FRÜHE INTERVENTIONEN
SUFFRAGETTEN – EXTREMISTINNEN DER SICHTBARKEIT

  Sonntag, 26.9.2010  
  18 Uhr  


Re-reading Steinach


Un duello allo schrapnell, I 1913, Cineteca Bologna


La Lotion magique, F 1906, Filmarchiv Austria


La Grève des nourrices, F 1907, Cineteca Bologna


Schutzmannlied, D 1909, Deutsche Kinemathek


L’Industria di carta a Isola del Liri , I 1909, Cineteca Bologna


La Doctoresse, F 1910, BFI

Re-Reading Steinach
Vortrag und Videopräsentation von Mareike Bernien
Eintritt frei

Anfang des 20sten Jahrhunderts experimentierten namhafte Forscher – darunter Eugen Steinach – mit hormonellen Geschlechtsumwandlungen. Die experimentelle Hormonforschung konstruierte dabei eine neue "Anthropologie, die Männer und Frauen als instabile homöostatische Zustände, als Wirkungen von männlichen und weiblichen Hormonen verstand" (Heiko Stoff: Vermännlichung, Verweiblichung, Verjüngung). Steinachs Forschungen (1922) – ein sexualmedizinischer Aufklärungsfilm der Ufa unter der Regie von Nicholas Kaufmann – stellt eine Dokumentation dieser Experimente dar. Filmbilder werden zu Messinstrumenten, Indikatoren, die unentwegt Wissen und Erzähltechniken produzieren. Sie etablieren ein Maß, dessen Referenzpunkt ein weißes DIN A 4 Papier, eine Messlatte am linken Bildrand oder ein nackter normalisierter Körper darstellt. Produziert wird der Blick auf das „Andere“, das Freakisierte, „Anormale“, die sexuellen Zwischenstufen. Welche Rolle spielen Bilder in der Konstruktion polizeilicher normalisierender Ordnungen? Wie diesen Bildern begegnen ohne ihre Gewaltförmigkeit zu reproduzieren?
Die Videoarbeit Re-reading Steinach (2009/2010) re-montiert Szenen des Films, um Repräsentationen normativer und abweichender Körper- und Geschlechterkonstruktionen zu untersuchen. Durch Maskierung, Neu-Kadrage und Montage ergibt sich eine intervenierende Bildlektüre, die weniger die Körper, als den im Bild angelegten Maßstab sichtbar macht und hinterfragt. Die Betrachtende wird dabei als Übersetzerin und Monteurin des Bildtextes angesprochen, wodurch sich die „Szene“ zwischen Wissensobjekt und Zuschauerin immer wieder verschiebt.

 
19 Uhr  

Mann/Frau/Norm/Kino
Einführung: Mariann Lewinsky und Madeleine Bernstorff
Einführung zum Schutzmannlied: Dirk Foerstner
Klavier-, Thereminbegleitung: Wieslaw Pipczynski

Die widerspenstige Braut Mistinguett in der Pagen-Uniform sieht attraktiv aus und kann die Beine zeigen, einer der Zwecke so mancher Hosenrolle in Oper, Tanz und Film. In Märchenfilmen wie Cendrillon spielen Frauen in Rokoko-Hosen elegante Prinzen und Tanzpartner. In der Kinokomik vor 1910 hingegen werden die Geschlechterrollen und -kostüme mit vehementer Freude durcheinandergewirbelt. Mit erstaunlicher Brutalität prügeln sich die streikenden Ammen – darunter viele Männer in Frauenkleidern – mit der Polizei (Le Grêve des nourrices). Wundersalben in La Lation magique lassen Bärte auf Brüsten und Busen auf Glatzen wachsen. In Monsieur et Madame sont pressés versuchen sich Monsieur und Madame zum Ausgehen bereit zu machen: der Stoptrick verwandelt Zylinder in Damenhut, Rock in Hose, Hemd in Stiefel ... In Le Poulet de Mme Pipelard poussiert ein Briefträger mit einem anderen Mann, der angeblich eine Köchin sein soll. Wenn Mutter und Töchter Vaters Hosen aus dem Schrank stehlen und damit rauchend durch die Straßen ziehen, dann schlüpft der Vater flugs in einen Rock und tanzt durch den Salon (Mes filles portent les jupes-culotte). Andere Männer (Il duello allo shrapnel) wiederum haschen sich mit erigierten Schwanzraketen im Wald. Die Berliner Po-Po-Polizei schwenkt anmutig denselben im Metropol-Revue-Tonbild Schutzmann-Lied.

Meine Töchter tragen Hosenröcke (Mes filles portent la jupes-culotte)
F 1911 120m 6’

Eile mit Weile (Monsieur et Madame sont pressés)
F 1901 20m 1’

Frau Pippels Brathähnchen (Le Poulet de Mme Pipelard)
F 1910 84m 5’

Aschenbrödel (Cendrillon ou La Pantoufle merveilleuse)
F 1907 R: Albert Capellani 293 m 15’

Das Duell der Schrapnells (Un duello allo schrapnell)
I 1913 R: Ernesto Vaser 6’47’’

Verhängnisvolle Wirkung (La Lotion magique)
F 1906 Pathé 80m 5’

Der Ammenstreik (La Grève des nourrices)
F 1907 190 m 10’

Schutzmann-Lied, aus: Metropol-Revue 1908, Donnerwetter! – Tadellos!
D 1909 D: Henry Bender Beta 2’ (digitale Tonbild-Rekonstruktion Christian Zwarg)

 
21 Uhr  

Die Frau von morgen
Klavierbegleitung Eunice Martins

Das Kino vor 1910 ist reich an Non-Fiction-Filmen, die alltägliche Arbeit zeigen: pittoresk-ländliche Aufnahmen von der Buchweizenernte in der Bretagne oder Bilder der Papierherstellung in Isola del Liri, zwei Filme, die auf selbstverständliche Weise Frauenarbeit zeigen.
La Doctoresse ist einer der Titel der Komödienserie von Mistinguett und ihrem Partner Prince. Eine vielbeschäftigte Ärztin muss sich einer Wahl stellen: Beruf oder Mann. Die Frau von morgen mit der großartigen Vera Jureneva ist eine erfolgreiche und engagierte Frauenärztin, die auch nach Wien zu einem feministischen Kongress reist und dort einen Vortrag über die Gleichberechtigung der Frau hält. „Der Triumphtag der Frau wird hoffentlich schon bald kommen, Frauen und Männer sollten gleiche Rechte haben, weil sie gleicherweise Menschen sind“. Im Wartezimmer weist sie sich vordrängelnde Bürgerinnen in ihre Schranken. Ihr Verlobter fühlt sich vernachlässigt und beginnt ein Verhältnis mit einer Kellnerin. Ein Kind wird geboren und die Ärztin Nora entdeckt am Bett der schwerkranken Wöchnerin die Wahrheit und rettet die Kindsmutter.

Buchweizenernte in der Bretagne (Recolte du sarasin)
F 1908 ca 6’

Papierherstellung in Isola del Liri
(L’Industria di carta a Isola del Liri )
I 1909 147m 7’30“

Die Ärztin (La Doctoresse)
F 1910, D: Mistinguett, Charles Prince 140m 7’

Die Frau von Morgen (Zhenshchina Zavtrashnego Dnya)
Ru 1914, D: Vera Yurevena, Ivan Mosjoukine, 795m 40’