FRÜHE INTERVENTIONEN
SUFFRAGETTEN – EXTREMISTINNEN DER SICHTBARKEIT

    Samstag, 25.9.2010  
    18 Uhr  


La Neuropatologia, I 1908, Museo Nazionale del Cinema, Turin


Normal Work, D 2007


Rosalie et Léontine vont au théâtre, F 1911, BFI


Serpentinentänze, F / USA 1898-1902, Cineteca Bologna


Lea e il gomitolo, I 1913, BFI


Sculpteur moderne, F 1908, CNF

 

La Neuropatologia
Ein Vortrag von Ute Holl
mit Vorführung des Films La Neuropatologia (I 1908)
Eintritt frei

La Neuropatologia ist ein medizinischer Lehrfilm des Turiner Neurologen Camillo Negri aus dem Jahr 1908. „Der Film kann, wird er unter medizinhistorischen Gesichtspunkten klassifiziert, als Vorführung eines Anfalls von Hysterie betrachtet werden. Filmdramaturgisch hingegen ließe er sich ebenso gut als expressionistisches Drama bezeichnen, als Dreiecksgeschichte. [...] Der medizinische Sachverhalt ist ohne die medizinische Bühne, das Theater, die Inszenierung nicht sichtbar zu machen. Mit der Einführung fotografischer Techniken in einigen Kliniken – wie in der Pariser Salpêtrière – Ende des 19. Jahrhunderts bahnt sich eine Wende zum Primat des Visuellen in der medizinischen Methodik und auch in der neurologischen Diagnostik an.“ (Ute Holl) „Ist die Aufnahme einmal gemacht, so ist das Bild jederzeit zur Reproduktion bereit. Der Film ist eben stets 'in Stimmung', Versager gibt’s nicht." (Hans Hennes, Die Kinematographie im Dienste der Neurologie und Psychiatrie)

 
  19 Uhr  
 

Inszenierung und Abbildung: Ein kinematographisches Studio
Einführung: Madeleine Bernstorff
Klavier-, Thereminbegleitung: Wieslaw Pipczynski
Erklärung Theremin (.pdf)

La Neuropatologia eröffnet den Blick auf Inszenierungsverhältnisse: In dem Fragment La Ribalta gibt der Schauspiellehrer und frühere Geliebte einer Schauspielerin dieser Regieanweisungen, um einen Bühnentod zu proben: er sitzt hinter ihr wie ein Psychoanalytiker; sie aber benutzt diese Probe, um sich tatsächlich das Leben zu nehmen. Die österreichische Firma Saturn stellte etwa vier Jahre lang „pikante Szenen“ für Herrenabende her. In der Produktion Beim Photographen geht es um die Anstrengungen, ein williges Modell zu finden; um eine große Dame, die durchaus Gefallen findet, nackt fotografiert zu werden; ihre Inszenierungsvorschläge und um die begierigen Klienten des Fotografen. Das eitle Stubenmädchen genießt es im gleichnamigen Film, allein im Raum und selbstvergessen wie eine nackte Statue zu posieren.
Normal Work ist Teil einer Installation von Paulin Boudry und Renate Lorenz. Der Performer Werner Hirsch re-inszeniert vier Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Fotografien von Hannah Cullwick, die nicht nur von früh morgens bis spät abends in verschiedenen Haushalten putzte, sondern auch Tagebücher, Briefe und eine Reihe inszenierter Fotografien produzierte, die - über unterschiedliche Posen von Klasse, „Race“ und Geschlecht - ihre Stärke, ihre Muskeln und ihre schmutzigen großen Hände zeigen: Verkörperungen von „Männlichkeit”, die offensichtlich direkt mit ihrer Arbeit verbunden waren und auf die sie sehr stolz war. Hannah Cullwicks Porträts und Selbstporträts waren Teil eines sadomasochistischen Verhältnisses, in das sie mit Arthur Munby, einem Mann der bürgerlichen Klasse, involviert war.
Der Schönheitswettbewerb der kleinen Kinder konfrontiert uns in Concorso di bellezza fra bambini mit niedlichsten Repräsentationen, den Reaktionen der Kleinen auf die Kamera und dokumentiert deren vehemente Weigerung, abgebildet zu werden. Eingesperrt in einem Schuppen, der als Dunkelkammer eingerichtet ist, fotografiert ein kleines Mädchen seine zukünftige Stiefmutter in dem Film L’Intrigante bei einem amourösen Abenteuer. Das Mädchen gibt ihrem Vater das Glasnegativ zum Entwickeln.

La Neuropatologia
I 1908 R: Camillo Negro 107m 5’

Bühne des Lebens/La Ribalta (Fragment)
I 1913 R: Mario Caserini D: Maria Gasparini 60 m 3’5’’

Beim Photographen
A 1907 Saturn 50m 3’

Das eitle Stubenmädchen
A 1907 Saturn 50m 3’

Normal Work
D 2007 R: Pauline Boudry, Renate Lorenz D: Werner Hirsch 13’ 16mm/DV

Schönheits-Konkurrenz von Kindern
(Concorso di bellezza fra bambini / Kindertentoonstellung)
I 1909 80m 4’

Das neue Zimmermädchen ist zu hübsch
(La nuova cameriera e troppo bella)
I 1912 D: Nilde Baracchi, 138m 7’

Rosalie und Leontine im Theater
(Rosalie et Léontine vont au théâtre) F 1911,
D: Sarah Duhamel und Leontine - Name nicht bekannt, 80m, 4’

Die Intrigantin / L’intrigante
F 1910 R: Albert Capellani 162m 8

 
  21 Uhr  
 

Funkelnde Sterne, athletische Frauen, erste Stars
Einführung: Mariann Lewinsky
Klavierbegleitung: Eunice Martins
an den Plattenspielern: Julian Göthe

Ab 1910 traten sehr viele Komikerinnen in eigenen Serien auf. Ebenso überraschend und erfreulich ist die starke Präsenz von Artistinnen und Performerinnen im Kino vor 1910. Eines der wichtigsten Genres in den kombinierten Kurzfilmprogrammen waren die Tanzszenen und akrobatischen Nummern. Es gibt einerseits Filme von den zentralen Performances der Tanzmoderne: dem Serpentinentanz der Loïe Fuller bzw. ihrer Imitatorinnen, dem Apachentanz der Mistinguett und ihres Partners, aber auch großartige Akrobatinnen wie die Schwestern Dainef. 1892 macht Loïe Fuller mit ihren Serpentinentänzen Furore. Das Kino versucht, die Farbigkeit und Dynamik dieser Textilperformances zu reproduzieren.

Mit den komischen Serien beginnt die Starbindung. Lea kommt vom Zirkus und spielt in Lea e il gomitolo mit athletischer Verve den Ausbruch eines jungen Mädchens, dem die Eltern abverlangen, nicht zu lesen, sondern zu stricken, also zu arbeiten. La Confession ist ein stummer Film, in dem wir alles verstehen: eine Großaufnahme der Schönen, die ihre nächtlichen Abenteuer einem lüsternen Mönch beichtet. Die eifersüchtige Frau in Femme jalouse nimmt eine sehr praktische und athletische Rache an ihrem untreuen Mann.

In Zigomar peau d’anguille sehen wir Zigomars kaltblütige Komplizin La Rosaria in ihrem schwarzen Catsuit, gespielt von der sportlich agilen Josette Andriot: sie entsteigt einem Sarg und holt den tot geglaubten Zigomar wieder ins Leben zurück. In der zweiten Episode tritt sie als exotische Zirkustänzerin auf und stiehlt mithilfe des Elefanten den Safe des Zirkusdirektors. Bei der Verhaftung verrät das böse Lächeln von Josette Andriot, dass sie schon bald wieder zu neuen Schandtaten bereit sein wird.

Danse Serpentine/ Annabella
USA ca 1902 Edison ca 2’ 16mm

Die Beichte (La Confession)
F 1905 D: Name nicht bekannt 60m 3’

Eine eifersüchtige Frau (Femme jalouse)
F 1907 D: Name nicht bekannt 58m 3’

Lea und ihr Knäuel (Lea e il gomitolo)
I 1913 D: Lea Giunchi 99m 5’

Serpentinentänze (Danses Serpentines)
F / USA 1898-1902 D: u.a. Annabella 60m 3’

Tanz der Pariser Apachen (La Valse chaloupée)
F 1908 D: Mistinguett, Max Dearly 38m 2’

Moderne Skulptur (Sculpteur moderne)
F 1908 R: Segundo de Chomon D: Julienne Matthieu 8’

Die Schwestern Dainef (Les Soeurs Dainef )
F 1902 65m 3’

an den Plattenspielern: Julian Göthe
Zigomar, der entschlüpfende Bandit (Zigomar peau d’anguille)
F 1913 Eclair R: Victorin Jasset D: Alexandre Aquillere, Josette Andriot, 940m 45’